Hilger BrotKunstHalle, Wien, 2013 / Some Roads To Somewhere / Foto Klaus Feichtenberger

 

 

 

NUNC STANS | IM LAND KEINER KARTE  |


Installation / 100x100x200cm / Chromspiegel, Alu / 2012

vier mal plus/minus 90°, plus minus 360°
ein sich öffnender Raum
eine andeutung der in den raum auslaufenden graphen und reflexionen
koordinatenkreuz / knotenpunkt / PPS PolyPointSystem
punkt, gerade, tangente, konstante, wie ein äußerer oder innerer beobachter, die geschwungene linie

___________________transtrancecoincitangensdiaphainoninformare
, reflektierend die bewegung, das außen
NUNC STANS
das spiegelnde und das durchscheinende /diaphainon/ in einer eines gleichzeitigkeit
spiegelung ohne spiegelverkehrt / ein sich sehen wie/von außen

 

Text > Sabrina Möller >>>>

 




dostal_im-land

Karlsplatz Wien, 2012 / 1 Quadratmeter Staat / Foto Renée Del Missier





Karlsplatz Wien, 2012 / 1 Quadratmeter Staat / Foto Renée Del Missier

 

Hilger BrotKunstHalle, Wien, 2013 / Some Roads To Somewhere / Foto Klaus Feichtenberger

 

 

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Durch die reflektierende Oberfläche eines Spiegels, die ein virtuelles Abbild der Wirklichkeit erzeugt, kann sich ein Subjekt visuell selber betrachten. Die Funktion des Spiegels in der Gesellschaft ist eine Art Überprüfung des Blickes von außen. Wie wird man von einem anderen Subjekt wahrgenommen?

Das scheinbare Abbild der Wirklichkeit bleibt trügerisch, denn durch die Seitenverkehrung in der Reflexion stimmt die Perspektive des sich selbst betrachtenden Subjektes nie ganz mit der Perspektive einer außenstehenden Person überein. Ein kleines Experiment verdeutlicht, dass man mithilfe eines weiteren Spiegels diese Seitenverkehrung aufheben kann. Verbindet man zwei Spiegel entlang einer Kante miteinander, können ihre Winkel zueinander variiert und damit unterschiedliche Spiegelperspektiven erzeugt werden. Bei einem Winkel von 90° und dem Blick ins Zentrum ergibt sich ein nahezu wirklichkeitsgetreues Abbild, das es dem Betrachter ermöglicht, sich selber wie von außen zu betrachten.

Wenn es dem sich selbst betrachtenden Subjekt mittels eines Spiegels ermöglicht wird, sich selber wie von außen zu betrachten, dann fällt der eigene, innere Blick mit dem äußeren zusammen. Eine Konvergenz, mit der sich die Künstlerin Iris Dostal in ihrer Spiegelskulpturen unter anderem beschäftigt.

Acht, bei starkem Licht leicht durchscheinende Chromspiegel sind jeweils paarweise – in einem Winkel von 90° zueinander – durch ein gemeinsames Zentrum an den Kanten miteinander verbunden. Die zwei Meter hohen Spiegel werden durch eine schwarz lackierte Stahlkonstruktion in Form eines Koordinatenkreuzes oben und unten gehalten. Jeweils zwei Spiegel sind an den Rückseiten miteinander verbunden, sodass sich vier gleiche große Winkelsegmente von 90° ergeben: eine Skulptur mit 360° und vier gleich großen, nach außen hin geöffneten Räumen.
Die Skulptur lässt sich von keinem Standpunkt aus als Ganzes erfassen, vielmehr erfordert sie einen Betrachter, der sich durch den Raum – und um die Skulptur herum – bewegt. Im Umschreiten kann die Skulptur imaginär in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Der Betrachter wird damit zum Subjekt der Arbeiten von Dostal, indem ihre Arbeiten lediglich durch die Bewegung erfahrbar sind. Eine peripatetische Wahrnehmung, durch die sich der Betrachter mit ständig variierenden Spiegelbildern und wechselenden Perspektiven konfrontiert sieht.

Mit jedem Schritt verändert sich die Skulptur. Doch nicht nur mit der Bewegung Betrachters: die Bewegung im umliegenden Raum wird durch das sich verändernde Spiel von Formen und Farben in der reflektierenden Oberfläche des Spiegels sichtbar. Selbst wenn die Konstruktion der Skulptur leicht nachvollziehbar erscheint, wird die Arbeit dadurch wesentlich komplexer und bedarf einer höheren Konzentration, um die Situation im Spiegel stets neu zu prüfen. Mit der Erhebung des Betrachters zum Subjekt der Arbeit ist der künstlerische Herstellungsprozess nie abgeschlossen.

Die Skulptur ist einer kontinuierlichen Veränderung von außen ausgesetzt, die durch die Reflexion der Spiegelfläche immer wieder auf die Skulptur selbst übertragen wird. Vergegenwärtigt man sich die temporäre Platzierung der ersten Spiegelskulptur im Winter 2012 auf dem Wiener Karlsplatz, wird diese Behauptung explizit unterstrichen. Eingebettet in einer sich ständig verändernden Umgebung, die nicht zuletzt dem Wechsel der Jahreszeiten unterliegt, variiert ihre Wirkung.  Wurde zuvor die Bewegung des Betrachters als zentral herausgearbeitet, wird durch die Platzierung im öffentlichen Raum ein weiterer Aspekt wesentlich: das Spiel mit der Distanz und dem Raum. Bedingt durch die Reflexion der Umgebung scheint die Skulptur aus der Entfernung zunehmend mit der Wirklichkeit zu verschmelzen; bis sie nur noch schwer erkennbar ist. Diese Momente, in denen sich zwei oder mehrere Ebenen berühren oder abgrenzen, faszinieren Dostal.

In der Ausstellung some roads to somewhere in der HilgerBROTkunsthalle wurde das Spiel mit der Distanz durch die Wände des Galerieraumes begrenzt. Doch das negierte keineswegs die Wirkung der Skulptur, vielmehr wurde der Blick dadurch auf eine weitere Besonderheit gelenkt. Bei der Betrachtung von der gegenüberliegenden Galeriewand wurde ersichtlich, dass die Spiegel leicht gebogen sind. Ein Fehler in der industriellen Produktion, den Dostal aufnimmt und zu einem wesentlichen Charakteristikum ihrer Arbeiten werden lässt. Es ist eine Befreiung von einer absoluten Präzision. Denn die Präzision folgt einer Perfektion, und das ist für Dostal in jeder Lebenslage eine reine Utopie. Ein fast schon humanes Element, das dennoch in keinerlei Widerspruch zu der Verwendung geometrischer Formen steht. Erst bei einer genauen Betrachtung, oder aus direkter Nähe, wird diese Nicht-Präzision sichtbar:  die Winkelschnittstelle zwischen den Kanten zweier Spiegel ist nicht exakt, sodass eine sichtbare Verbindungsstelle bleibt, die von Kante zu Kante variiert. Nachdem diese Winkelkante zugleich als Symmetrieachse fungiert, räumt sie den Raum für minimale Bruchstellen in der Reflexion ein.

Das Spiel mit der Distanz schließt im gleichen Maße Standpunkte in unmittelbarer Nähe ein: führt man seine Augen direkt an die Oberfläche des Spiegels heran, eröffnet sich eine völlig neue Ebene der Arbeit. Dostal verwendet unbeschichtete Spiegel, die zwar das Licht reflektieren und dadurch ein Spiegelbild erzeugen, jedoch bis zu einem gewissen Grad lichtdurchlässig sind, sodass durch den Spiegel hindurch der dahinter liegende Raum sichtbar bleibt. Nachdem Dostal immer zwei Spiegel an den Rückseiten miteinander verbindet, ist die Lichtdurchlässigkeit enorm reduziert und auf den ersten Blick schwer sichtbar. Funktional kann der Spiegel dadurch nicht nur den Raum reflektieren oder mittels des Spiegelbildes in sich aufsagen; der Raum wird erweitert um Bereiche, die dem Betrachter aus dieser Perspektive andernfalls verwehrt blieben. Es sind diese Feinheiten, die die Betrachtung und den Umgang mit den Arbeiten von Dostal so spannend machen. Feinheiten, die sich nicht auf einen flüchtigen Blick hin offenbaren, sondern erst durch eine intensive Erkundung zugänglich werden.

Formal arbeitet Dostal mit Gegensätzen: geometrische und nicht-geometrische Formen werden miteinander kombiniert. Imaginär kann der Betrachter etwa um die Skulptur herum – als Zusammenfügung der Winkel zu 360° – einen Kreis ziehen, der neben der Bewegung des Betrachters als ein amorphes Element fungiert.

Dostal arbeitet nicht nur skulptural, sondern beschäftigt sich auch mit dem Medium der Malerei. In der Ausstellung in derHilgerBROTkunsthalle verwendete die Künstlerin zwei Leinwände, die sie eine Raumecke mit einem Winkel von 90° hing. Anders als bei der Spiegelskulptur bilden nicht die beiden Kanten die Schnittstelle, sondern die rechte Leinwand überschneidet die linke. Die Hängung in der Raumecke erfordert erneut eine Bewegung des Betrachters; selbst wenn der Bewegungsraum durch den 90° Winkel wesentlich geringer ist.

Das Spiel mit den Formen setzt auch auf der Leinwand sich fort: auf einer Kreidegrundierung wird scheinbar fließende, transparent anmutende Eitempera aufgetragen. Die Technik des Auftragens ist irgendwo in der Schwebe zwischen Konstruktion und Zufall. Dostal trägt die Eitempera sehr flüssig auf und bearbeitet mit leichtem Druck die Leinwand, um so die Farbe gezielt fließen zu lassen. Die Größe der Fläche verhindert eine absolute Kontrolle dieses Vorganges, sowie auch die Grenzlinien nie präzise konstruiert werden können. Als Kontrast zu der amorphen und weichen Form fungiert ein schwarzes, gemaltes Element. Die schleierhaften Linien auf der rechten Leinwand sind das Ergebnis von Kratzspuren: mit Fingernägeln, Schmiergelpapier und Schraubenziehern.

Sabrina Möller / 2013

 

 

A mirror’s reflecting surface produces a vir- tual image of reality, enabling the visual self- examination of a subject. Socially, mirrors serve to control how others see the self. How is the self seen by another subject?

The apparent effigy of reality remains treacherous: The inverted reflection does not wholly correspond to an outsider’s perspective. A little experiment shows how, by adding another mirror, the inversion of the image can be avoided. If two mirrors are combined along their edges and the angle between them is varied, various mirror perspectives are produced. At a 90 degree angle, looking at the centre, the image that is produced is almost identical with an outsider’s perspective, allowing the viewer to see him- or herself as he or she is seen by others. When this arrangement of mirrors allows a viewer to see him- or herself as he or she is seen from outside, his or her outer and inner image converge. It is this convergence, among other things, which the artist Iris Dostal is exploring with her mirror sculptures.

In one installation she combines eight chrome mirrors which are slightly translucent in strong light, with their edges joined in a centre. The mirrors, which are about 2 metres high, are held, at the top and the bottom, by a black steel construction in the position of a cross of coordinates. Two mirrors, respectively, are placed back to back, resulting in four identical rightangle mirror segments, adding up to a 360 degree sculpture creating four identical open spaces.

The sculpture can never be seen as a whole from any point of view so that the viewer is obliged to move around it and, while doing just that, he or she will begin to imagine the sculpture in its entirety. Thus, Iris Dostal’s sculpture which can only be experienced through movement turns the viewer into the subject of her work and offers a peripatetic, constantly changing perception of oneself. The sculpture changes with each step the viewer takes, but the viewer’s path of movement is not the only agent of change. Movements in the surrounding space becomes visible in the play of mirrored shapes and colours. Even though the sculpture’s arrangement may be easy to grasp, these perpetual changes make the work complex and demand a heightened concentration in order to constantly re-evaluate the mirrored situation. By promoting the viewer to be the artist’s subject, the process of artistic production becomes neverending.

The sculpture is is subject to perpetual changes generated by its surroundings. In winter 2012, the sculpture was temporarily placed in Vienna’s Karlsplatz. Imbedded in a constantly changing context, including the change of seasons, its effect varied. Initially, the viewer’s movement was the artist’s central theme, but by placing the sculpture in a public space, an additional aspect became apparent: its interplay with space and distance. From a greater distance, the reflected surroundings let the sculpture blend into the reality of the cityscape, to the point that it almost became invisible. Iris Dostal is fascinated by those moments when two or more levels of perception meet.

In the exhibition some roads to somewhere at the HilgerBROTkunsthalle, curated by Gunter Damisch, the play with distance was limited by gallery walls, however without diminishing the sculpture’s effect. On the contrary, the situation brought to light another unique characteristic. By looking at the sculpture from the opposite wall it became apparent that the mirrors are slightly warped. Iris Dostal responded to a flaw in the industrial production process by making a central feature of her work. It is a liberation from absolute precision. Precision follows perfection, and the artist regards perfection, in any situation in life, as utopian. It’s an almost human feature, yet it doesn’t contradict the use of geometrical forms. This non-precision only becomes apparent through close observation. The vertex of the angle between two mirrors is not precise, thus producing a noticeable interface which varies from one edge to another. Since this vertex also functions as an axis of symmetry, it leaves a space for minimal fractures of illusion. The play with distance also includes very closeup points of view. If you bring your eyes close to the mirror surface, a completely new level opens up. Iris Dostal uses uncoated mirrors which reflect light and produce a mirror image, but they are also translucent to some extent so that the space behind the mirror remains visible. Since two mirrors are mounted back to back, the amount of light that can pass through is very limited and the transparency almost zero. When you come up close, the mirror ceases to reflect the space around and behind you while opening up a new space beyond the mirror which would otherwise remain unnoticed. It’s these subtleties that make the experience of Dostal’s work so enthralling — subtleties that are not apparent at first sight but reveal themselves only through intense exploration. Formally, Iris Dostal works with opposites, combining geometrical and non- geometrical shapes. In his imagination, the vie- wer can visualise a circular space around the sculpture by adding up all the angles to a total of 360 degrees — an amorphic element corresponding to the viewer’s path.

Iris Dostal is not only a sculptor but also a painter. In the HilgerBROTkunsthalle she placed two canvasses into the 90-degree corner of a room. Unlike the mirror sculpture, where the mirror edges form a joint, one of the canvasses, the right one, overlaps the other. Again, the placement in the corner requires the viewer to move, even though the corner situation limits the space of movement.

The play with shapes continues on the canvas. On gesso, egg tempera is applied, seemingly flowing and transparent, the application technique hovering between accidental and constructive. The egg tempera is applied in a very liquid state, allowing it to flow in a controlled manner. The sheer size of the surface prohibits absolute control over the flow, and the outlines cannot be precisely defined. A black, painted element con- trasts these amorphous, soft shapes. The veillike lines on the right canvas are scratch-marks — of finger-nails, sand paper and screwdrivers.


Sabrina Möller / 2012

Translation Klaus Feichtenberger